Pakistan im Ausnahmezustand: Früher hat Militärherrscher Pervez Musharraf weder Tod noch Teufel gefürchtet. Jetzt hat er Angst vor unabhängigen Richtern und Journalisten. Sein Land ist im Ausnahmezustand. Die USA schicken Krisendiplomaten, das Regime zeigt seine Folterwerkzeuge
Asma Jehangir ist angeblich sehr müde. „Sie schläft“, behauptet eine Männerstimme an ihrem Telefon. Es ist zehn Uhr morgens. Sie schläft auch noch um elf, zwölf, um ein und zwei Uhr mittags. Behauptet jedenfalls die Männerstimme. Dann knallt der Mann den Hörer auf.
Jehangir wohnt an einer breiten, befahrenen Straße in Lahores Stadtteil Gulberg. Eine hohe Mauer und ein schmiedeisernes Tor versperren die Sicht auf ihr Haus. Davor sitzen Polizisten auf einer Bank, einer hat ein Maschinengewehr in der Hand. Sie sind höflich. „Sie können nicht zu Frau Jehangir. Sie steht unter Hausarrest“, sagt eine Polizistin. Warum? Sie lacht verlegen. „Ich weiß nicht.“
Sie dürfte den Grund auch nicht sagen: Weil Militärherrscher Pervez Musharraf, dieser furchtlose Teufelskerl, Angst hat vor Asma Jehangir. Vor dieser kleinen Frau, gerade mal 152 Zentimeter ist sie groß. Asma Jehangir ist die Vorsitzende von Pakistans Menschenrechtskommission und Anwältin am Verfassungsgericht. Seit zwei Wochen darf sie ihr Haus nicht mehr verlassen. Wie tausende andere Kritiker im ganzen Land, die meisten sind Juristen, Journalisten, Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker.
Musharraf hat die Köpfe der bürgerlichen Opposition weggesperrt, um Proteste gegen den Anfang November verhängten Notstand im Keim zu ersticken. Er will sie mundtot machen. Doch im Zeitalter von Internet und Handy ist das nicht so einfach. Immer wieder gelingt es Jehangir, Botschaften aus ihrer Wohnung zu schmuggeln, die nun ihr Gefängnis ist. „Ich bin noch gut dran“, sagt sie. „Aber tausende Anwälte sitzen im Gefängnis, werden geschlagen und gefoltert, während Terroristen frei herumlaufen und immer mehr Raum in Pakistan besetzen.“
Nur wenige Kilometer entfernt, in Lahores Nobelviertel Defence Housing, steht zu dieser Zeit noch eine andere Frau unter Hausarrest. Benazir Bhutto, Chefin der größten Oppositionspartei PPP. Die Mauern in dieser Gegend sind dicker und die Villen größer. Auf den Rasenstreifen am Straßenrand lungern Kamerateams und Journalisten herum. Bhutto hat sich mit Musharraf überworfen und den von den USA orchestrierten Machtpakt aufgekündigt. Gerade ist ein US-Gesandter bei ihr. Washington ist nervös. Die Amerikaner fürchten ein gefährliches Machtvakuum in dem Atomstaat.
Mit Stacheldraht und quergestellten Lastern hat die Polizei die Zufahrtsstraße zu Bhuttos Haus versperrt. Es wäre nicht notwendig. Weit und breit ist kein wütender PPP-Anhänger in Sicht, der die Barrikaden stürmen wollte. Dabei leben in Lahore fast neun Millionen Menschen. „Stadt der Gärten“ nennen die Pakistaner die Metropole an der Grenze zu Indien auch. Villen und breite Alleen erinnern an die britische Kolonialherrschaft. Die Stadt wirkt moderner und gepflegter als Indiens Städte. Es gibt Universitäten und Museen, McDonald’s und Pizzahut, italienische und japanische Restaurants. Nur mit dem Alkohol tut man sich öffentlich schwer. Und auf den Straßen sieht man nur wenige Frauen. Lahore, die zweitgrößte Stadt Pakistans, gilt als Zentrum des bürgerlichen Widerstandes gegen das Militärregime. Und doch nimmt das Leben seinen normalen Gang. Schon 13 Mal war das islamische Land seit seiner Unabhängigkeit vor 60 Jahren im Ausnahmezustand. Dieser ist ein eigenartiger. Die Menschen nehmen die Situation seltsam still hin. Hie und da flammen im Land immer wieder Proteste und Krawalle auf, aber es gibt keine Massenaufstände und keine Großkundgebungen.
Der Kampf gegen das Militärregime wird bisher noch nicht auf den Straßen ausgetragen, sondern hinter den Kulissen. Und in den Medien. Und in den Gerichten. Wer glaubt, eine geknebelte Presse vorzufinden, täuscht sich. Die Zeitungen sind despektierlich und kritisch. Sie berichten über Festnahmen, Folter und Proteste, sie verhöhnen Musharraf als „the Great leader“, den großen Führer, und machen sich in Karikaturen über den stolzen Vier-Sterne-General lustig.
Und sie drucken Leserbriefe und Aufrufe: „Gebt uns unser Land zurück“, fordern 75 Bürger in einer Anzeige, sie haben mit Namen unterzeichnet. Seit Donnerstag sind auch vier Nachrichtenkanäle wieder auf Sendung. „Ausnahmezustand, Tag 14“ prangt unentwegt in der oberen rechten Ecke von „Dawn News“. Es ist ein stiller Dauerprotest.
„Wir sind nicht Birma oder Lateinamerika“, sagt Ejaz Haider wütend. Haider kennt die Welt, er war in den USA, in Europa, für die Heinrich-Böll-Stiftung immer wieder in Berlin. Er kennt die Bars unter der S-Bahn-Station „Hackesche Höfe“ und die internen Kämpfe der Grünen um den Afghanistan-Einsatz. Und nun sitzt er in seinem Büro in Lahore, in Poloshirt und Jogginghose, vor einer kalten Tasse Tee und ärgert sich über das Bild, das sich der Westen von seiner Heimat macht. „Wir sind ein entwickeltes Land.“ Er zündet sich eine Zigarette an. Er raucht viel derzeit, eine Packung am Tag, er sieht müde aus. Er hat viel zu tun nun, gibt Interviews, redet in Talkshows, hetzt zu Presseterminen, schreibt Artikel. Gegen den Notstand und über Musharraf, den er als „Big Brother“ verhöhnt.
Ejaz Haider, 45, ist Mitbegründer und Herausgeber der „Daily Times“, einer von Pakistans liberalen Zeitungen. Er will die Lage in seinem Land nicht beschönigen, aber auch nicht aufbauschen. „Lassen Sie uns die Dinge zurechtrücken“, sagt er. „Gestern habe ich einen kritischen Artikel geschrieben. Was glauben Sie, was in Birma oder Lateinamerika passiert wäre: Ich wäre schon längst auf Nimmerwiedersehen verschwunden.“
Die Geschichte des Ausnahmezustandes hört sich anders an aus seinem Mund. Unaufgeregt, sehr nüchtern. „Musharraf hat den Ausnahmezustand sehr, sehr widerwillig verhängt“, sagt er. Ist Musharraf ein Diktator? Haider zögert, sucht nach den richtigen Worten. „Ich denke nicht, dass er ein richtig waschechter Diktator-Diktator ist. Aber er hat ein Problem mit dem Timing.“ Er hat Aussetzer, soll das heißen.
Nun wieder, dabei schien alles so schön eingefädelt. Musharraf, Bhutto und die USA hatten schon alles vorbereitet, um Pakistan nach acht Jahren Militärherrschaft ein Stück weiter in Richtung Demokratie zu führen. So sieht es zumindest Haider. Bhutto sollte ein drittes Mal Premierministerin werden. Der 64-jährige Musharraf sollte Präsident bleiben, aber als Militärchef zurücktreten. „Er wusste, dass er an Macht verliert. Und er war bereit dazu.“ Aber dann stellten sich die Verfassungsrichter quer und wollten dem General das Präsidentenamt aberkennen. Das habe den ganzen Machtdeal gekippt. „Das Ziel des Ausnahmezustandes waren die Richter. Nichts anderes“, sagt Haider. Musharraf wollte sie loswerden und durch willigere Kollegen ersetzen. Sobald die neuen Richter seine Präsidentschaft durchwinken, werde er die Uniform an den Nagel hängen.
Aber die neuen Richter lassen sich seltsam viel Zeit mit ihrem Spruch, und den Hauptdarstellern entgleitet die Regie. „Die Lage hat eine Eigendynamik entwickelt“, sagt Haider. Vor allem Bhutto, die selbst ernannte Ikone der Demokratie, geriet unter Druck. Sie spielte dem Volk und dem Westen die kämpferische Oppositionschefin vor. Doch intern hielt sie am Machtpakt mit Musharraf fest und schonte ihn.
Sie redete viel, tat aber nichts. Das Volk durchschaute das Doppelspiel. Und es kam nicht gut an, dass ausgerechnet die Tochter von Zulfikar Ali Bhutto, der von einem Militärherrscher gehängt wurde, nun mit einem anderen Militärherrscher unter einer Decke steckt. „Sie war dabei, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren“, sagt Haider. Bhutto vollzog die Kehrtwende und sagte sich von Musharraf los. Wie geht es nun weiter? Der Journalist fährt sich durch die Haare. „Nun ist die Lage sehr unsicher und sehr instabil.“
Der „Lahore Presseclub“ liegt im kolonial geprägten Herzen der Stadt. Aus Protest gegen den Ausnahmezustand treten die Journalisten nun einmal in der Woche für einen Tag in den Hungerstreik. Es sind fast nur Männer da. Die einzige Journalistin hat sich zum Fernsehen alleine in einen Raum verzogen. Die Männer trinken Tee. Er ist heiß und sehr süß. Sie reden viel und durcheinander. Sie versuchen, ihr Land zu erklären.
Dieses Land, das nach Ende der britischen Kolonialherrschaft 1947 künstlich zusammengeschustert wurde und dessen 160 Millionen Einwohner so unterschiedlichen Ethnien angehören. Ein Land, in dem die städtische Elite ein westliches, weltoffenes Leben führt, während in den Provinzen im afghanischen Grenzgebiet wilde Stammeskrieger mit Gewehren und rauschebärtige Taliban gegen die Regierung kämpfen. Dieses Land, in dem man um tausend Ecken denken muss, um die Winkelzüge der Politik zu verstehen.
Es ist die Hochzeit für Gerüchte und Spekulationen. Berichte kursieren, US-Präsident George W. Bush wolle seinen alten „Kumpel“ Musharraf nun doch fallen lassen. Sie wurden in Washington gestreut. Kann sich Musharraf halten? „99 Prozent des Volkes sind gegen Musharraf“, sagt einer der Männer in dem verrauchten Raum des Presseclubs. Aber am Ende hänge alles am Militär. Solange es hinter dem General stehe, hielten die USA an ihm fest, um nicht ihren Frontstaat im Anti-Terror-Kampf zu verlieren. Sollte aber das Militär Musharraf die Treue kündigen, werde er sehr schnell in seiner geliebten Türkei landen. Im Exil.
Viele Pakistaner sind nicht gut zu sprechen auf die USA, die so dreist in Pakistan mitregieren und mitmischen. „Jedes Kind, jeder Mann ist gegen Bush“, sagt einer. Anwar Hashmi beeilt sich klarzustellen: „Wir haben nichts gegen die Menschen von Amerika. Die sind unschuldig. Wir haben etwas gegen die Politik von Bush.“ Hashmi ist TV-Reporter und mag keine Pauschalurteile. Ihre Nähe zu den USA habe auch Bhutto sehr geschadet. „Die Menschen sind enttäuscht, dass sie mit Bush und Musharraf herumfeilscht.“ Sie werde als US-Marionette angesehen. Könnte sie Massenproteste gegen den Ausnahmezustand organisieren? Ja, sie könnte, sagt Hashmi.
Sie tut es nicht. Bisher nicht. Es ist nicht sicher, dass das so bleibt. Bhutto telefoniert viel in diesen Tagen, sehr viel. Mit Journalisten aus aller Welt, mit den USA und Politikern. Nun will sie mit Nawaz Sharif von der Muslim-Liga und anderen Oppositionspolitikern ein Bündnis gegen Musharraf schließen. Mal wieder. Ausgerechnet mit Sharif, ihrem Erzrivalen, der in Saudi-Arabien im Zwangsexil sitzt und ihr gefährlichster Konkurrent ist. Beide waren in den 90er Jahren bereits zwei Mal Regierungschefs in Pakistan. Beide wollen es nun zum dritten Mal werden. Aber nur einer kann. Schon das erste Bündnis, das beide versuchten, war zerbrochen.
Es gibt andere wichtige Details, die im Westen untergehen. Zum Beispiel, dass außer Musharraf noch jemand Grund hat, sauer auf die geschassten Verfassungsrichter zu sein: Benazir Bhutto. Musharraf hatte ihr zugesichert, alle Korruptionsanklagen gegen sie fallen zu lassen. Es heißt, es gehe um 1,5 Milliarden Dollar. Die suspendierten Richter fanden die generöse Amnestie unappetitlich. Hätten sie sie gekippt, wäre Bhutto wohl vor Gericht gelandet. Will Bhutto die suspendierten Richter wirklich zurück, wie sie nun sagt?
Am Freitag sieht es zunächst danach aus, als könnte sich die Lage entspannen. Im pakistanischen Fernsehen wird dem Publikum nach beinahe zwei Wochen mit schwarzen Bildschirmen erstmals wieder harte Politik geboten. Die Nachrichtensender berichten ständig über die neuesten Entwicklungen. „Sind die Pakistaner überhaupt zur Demokratie fähig“, fragt „Dawns News“ in einer Talkshow, Experten antworten. Währenddessen eilt US- Krisenmanager John Negroponte, der Vizeaußenminister, in die Hauptstadt Islamabad, um zu retten, was zu retten ist. Der politische Prozess sei „entgleist“, sagt er. Musharraf müsse den Ausnahmezustand beenden und die tausenden Oppositionellen wieder freilassen. In der Nacht auf Freitag, vor Negropontes Ankunft, haben die Behörden den gegen Bhutto verhängten Hausarrest aufgehoben. Auch den gegen Asma Jehangir. Wohl, um den Besuch aus Amerika nicht zu verärgern.
Aber dann gibt es doch wieder so eine Dynamik der Ereignisse, die zu einer Eskalation führen können. Kaum frei, holt Bhutto zu neuen Attacken gegen Musharraf aus. Vielleicht ist es auch dieses Mal nur ein Schaukampf, um vor den Wahlen im Januar ihr angekratztes Image aufzupolieren; in Umfragen hat ihr Kontrahent Sharif sie überholt. Vielleicht aber treibt sie nun den Bruch voran. In Peshawar geraten Oppositionelle und Polizei bei einer Demonstration hart aneinander. Am Samstag sagt Musharraf, er werde den Ausnahmezustand nicht aufheben. In der Nacht ließ er zwei Nachrichtensender abschalten. Es gibt Beobachter, die blutige Wochen fürchten.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 18.11.2007)
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